Samstag, 21.november 2015, 18 Uhr
Ausschnitte aus dem Soloprogramm von Bettina Grube
“tsuya studies” für Stimme und Tanz
sowie der Ausstellung „schriftbilder“ von Anna Maria Bürgi
Aus dem Solo-Programm von Bettina Grube:
„Die Alte“ von Botho Strauss (*1944) aus:
“Erinnerung an einen, der nur einen Tag zu Gast war“ mit „Dream Images“ aus Makrokosmos von George Crumb (*1929), aus dem Programm des MondEnsembles “Viele Scherben wenig Schaden“.
Botho Strauß schildert in poetischer Sprache eigene Erfahrungen. Eine alte Frau lebt zurückgezogen, ganz eingesponnen in ihrer Erinnerungswelt und erkennt die Tochter nicht mehr. Ein Hinübergleiten der Mutter in eine andere Welt und das Erwachen in ihr beschließen dieses Seelengemälde.
Adagio von Franz Schubert (1797-1828) aus der Sonate in c-moll, Deutsch-Verz. 958
Eine eurythmisch musikalische Bewegungs-Interpretation.
Bettina Grube blickt heute auf eine langjährige Bühnentätigkeit als freischaffende Eurythmistin zurück. Sie war tragendes Mitglied von Ashdown Eurythmy, von Tierkreis-Projekt zur documenta IX und Mitbegründerin des MondEnsembles. Ausgebildet zur Sprachgestalterin und Eurythmistin hat sie über 30 Jahre hinweg in einer Vielzahl von Bünenprojekten mitgewirkt. Als erfahrene Dozentin hat sie die in 2007 neu eröffnete Hamburger Eurythmieausbildung 4.D raum für eurythmische ausbildung und kunst mit initiiert.
Roswitha Meyer-Wahl ist seit 1980 als Sprecherin und Schauspielerin immer wieder für die Eurythmie (Eurythmie-Bühne Hamburg, MondEnsemble u.a.) tätig. Unterschiedlichste szenische Literaturprojekte sind im Laufe der Zeit zusammen mit Kollegen entstanden. Sie ist als Dozentin für Sprachgestaltung und Theater am Seminar für Waldorfpädagogik in Hamburg tätig und bringt regelmäßig Inszenierungen mit Laien auf die Bühne.
Karin van Buiren unterrichtete nach Konzerttätigkeit im In- und Ausland viele Jahre als Dozentin für Klavier und Pädagogik am Hamburger Konservatorium und an der Musikhochschule Lübeck sowie am Musikseminar Hamburg. Fortbildungskurse für Pianisten führen sie regelmäßig nach Russland und Japan. Heute ist sie Mitglied des Leitungsteams von MenschMusik Hamburg und unterrichtet dort Klavier, Korrepetition und Instrumentalpädagogik.
Rob Barendsma übte 15 Jahre lang eine eurythmische Lehrtätigkeit aus (Schule für Eurythmische Art und Kunst Berlin, Eurythmie-Schule Hamburg, Alanus-Hochschule Alfter). Er arbeitete freiberuflich als Choreograph, Kostümbildner, Komponist und Regisseur sowohl für Eurythmieproduktionen als auch für Tanzprojekte, Musicals und für das Fernsehen. Als Kostümbildner arbeitete er in Holland mit namhaften Künstlern wie Hans van Manen und Jiri Kilian zusammen. Heute lebt er in Spanien und ist als Choreograph und Kostümbildner international tätig. Er realisierte u.a. die Eurythmieproduktion Mimage (2003), als auch Musicals in Spanien und Korea (DisneyWorld). Darüber hinaus ist er als Gastdozent in der Ausbildung von Eurythmisten an der Alanus Hochschule tätig.
tsuya studies für Stimme und Tanz, stellt eine Vorarbeit für den vierten Teil der Jenseitspentalogie, tsuya (Nachtwache), dar.
Ein sehr persönlicher und wichtiger Bezug der Komponistin zu japanischer Kultur und Religion besteht seit ihrer Kindheit: Durch ihre Mutter, die Malerin und Zazen-Praktizierende Anna Maria Bürgi, wurde sie früh mit der strengen Meditationspraxis des Zazen und der abstrakt erweiterten Kalligraphie vertraut gemacht, die so auch Teil ihres eigenen Lebens wurden. Das Bühnenbild von „tsuya“ soll aus diesem Grund mit den Bildern der Malerin gestaltet werden. Im Atelier zeigen wir an diesem Wochenende bereits eine Auswahl an neuen Schrift-Bildern der Malerin.
Im Mittelpunkt dieses vierten Teiles der Pentalogie steht tsuya, die nächtliche Totenwache der Verwandten und Freunde des/der Verstorbenen. In Fortsetzung der künstlerischen Recherchen zum ersten, zweiten und dritten Teil der Pentalogie, Tante Hänsi, Rithaa und shiva for anne liegt der Fokus nun auf Toten- und Trauerritualen des Buddhismus und Shintoismus. Hieraus soll für tsuya eine musikalische Form für Kammerensemble entwickelt werden.
Wir zeigen eine Studie für Tanz und Stimme, die mit einem einzigen haiku[1] – in deutscher sowie in japanischer Sprache – arbeitet und dieses in zwölf verschiedenen Variationen vertont.
Blätter fallen nie
vergebens – überall
der Klang der Glocken
uso ni chiru
ha mo nashi yomo no
kane no koe
嘘に散る 葉も無し四方の 鐘の声
Das haiku stammt aus einer Sammlung von Todesgedichten japanischer Zenmeister_innen.
Das für die Komposition ausgewählte stammt von
CHORI, Zenmönch,
gestorben am neunzehnten tag im zehnten monat 1778 im alter von neununddreissig jahren[2]
Es ist wohl einzigartig, dass es in Japan eine Tradition gibt, welche – anstelle eines Testamentes – ein Abschiedsgedicht an das Leben verfasst.
Untersucht wird hier die Möglichkeit, Tanz nicht als Abbild von Musik oder Sprache darzustellen, d.h. nachzuempfinden, sondern beide Elemente, Tanz und Stimme, werden wie ZWEI eigenständige Instrumente behandelt.
Der Tanz wird (in der Partitur) genau wie die Stimme notiert, mit Intervallen oder Buchstaben oder auch Bewegungsskizzen. Es werden auch Laut- und Toneurythmie vermischt, manchmal in einer auch nur kurzen Sequenz hin- und hergewechselt, je nachdem, womit sich die Spannung, der Inhalt, die Form an dieser Stelle am besten vermitteln lässt.
Die Tänzerin kann dabei auch Eigeninitiative einsetzen, sie bekommt einen autonomen Spielraum, in dem sie die Bewegung im Raum, die Wege, Orte – d.h. die Choreografie (Bettina Grube) – mitgestalten kann, ja soll, da ihre Erfahrung nicht notiert werden kann (zumindest nicht von der Komponistin); Mela Meierhans kann dazu nur Anregungen geben, z. B Anweisungen wie „möglichst statisch“ oder „schnelle Abfolge“ etc.
Der Gesang soll sich auch in die Bewegung hinein begeben und umgekehrt, die Tänzerin spricht stellenweise auch.
“Was mich insbesondere fasziniert ist, dass ich so ‘Stille komponieren’ kann.
Ich habe nun das haiku in den Teilen I-VI traditioneller – d.h. ohne Improvisationsspielraum – notiert. In den Teilen VII-XII habe ich eine ähnliche Struktur gewählt, bin aber freier mit der Notation umgegangen, was immer auch eine größere Mitgestaltung der Ausführenden bedeutet. Die Teile VII-XII sind somit Variationen der Variation…
I-VI sind auch meditativer gehalten als VII-XII, welche mehr in den Raum hineingreifen.
Die inhaltliche Umsetzung des haikus hat aber noch nichts mit dem Totengedenken – Teil IV der Jenseitspentalogie – zu tun, sondern soll aufgrund der Erfahrungen mit diesen Studien weitergeführt werden.” Mela Meierhans
mit
Bettina Grube – choreografische Umsetzung, Regie
Katja Nestle – Kostüme
[1] traditionelle japanische Gedichtform; gilt als die kürzeste Gedichtform der Welt
[2] Die Kunst des letzten Augenblickes, Yoel Hoffmann, Herder, s.116